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„Wir müssen zeigen, das Psychodrama auch gesellschaftlich etwas bewegen kann“ – Interview mit Dr. Michael Wieser

Michael Wieser
Ass. Prof. Dr. Michael Wieser ist in der Nähe des Bodensees in Österreich aufgewachsen, hat in Salzburg studiert, und ist durch das Psychodrama nach Klagenfurt gekommen, wo er auch promoviert hat und jetzt als Assistenzprofessor arbeitet. Er ist verheiratet und hat ein Kind. Besonders die Jahre Morenos in Wien vor seiner Auswanderung nach Amerika 1925 faszinieren ihn. Vergleichbare Anträge auf wissenschaftliche Anerkennung, wie jetzt die AGHPT an den WBP stellt, hat er schon zwei Mal in seinem Leben für das Psychodrama mitformuliert, das erste Mal für das Österreichische Gesundheitsministerium und das zweite Mal vor der European Association of Psychotherapy (EAP). Diese Arbeit mündete bereits 2007 und 2011 in Publikationen (s.u). Verfahrensübergreifende Psychotherapieforschung, Diagnostik und Evaluation von Psychotherapie sind nicht seine einzigen Schwerpunkte. Er forscht und publiziert auch über Gewalt gegen Frauen, Rechtsextremismus im Internet, über Psychotherapie in China… Folgendes Interview fand vor dem Hearing statt, kurz nach dem Michael Wieser von der IAGP-Tagung aus Kroatien zurückkam (International Association for Group Psychotherapie and Group Processes, Vorstand). Und kurze Zeit später, am 24.-26. September, war er Mitorganisator der „8th European Conference on Psychotherapy Research“. 
 

Wie bist Du zum Psychodrama gekommen? 1984 bin ich zu einem Psychodrama-Workshop zur Friedensuni Burg Schlaining gefahren. Klaus Ottomeyer und Maria Schönherr haben dort eine Woche Psychodrama zum Thema „Frieden“ gemacht. Dort habe ich das Psychodrama kennen und schätzen gelernt noch während meines Psychologiestudiums. Die Psychodrama-Ausbildung begann ich dann 1986 bei Maria Schönherr. Hier schließt sich ein Reigen, denn nächste Woche fangen wir wieder zusammen mit Maria Schönherr eine Oberstufen-Gruppe an. Wir sind seit 30 Jahren verbunden. Klaus Ottomeyer, der Professor in Klagenfurt war, ist auch ein Grund, wieso ich nach Klagenfurt gekommen bin. Immer wieder fasziniert mich im Psychodrama die Begegnungsarbeit und die Philosophie, die damit verbunden ist und der feinfühlige humanistische Zugang der Gruppenarbeit, nicht nur im therapeutischen Bereich sondern auch in anderen Feldern, auch politischen.

Was hast Du für die AGHPT und den DFP gemacht, obwohl es für Dich viel Arbeit zu tun gibt in Österreich? Die Anfrage war im Hochsommer dieses Jahres, 300 Seiten über Psychotherapieforschung von Humanistischer Psychotherapie durchzuschauen und nach Wirksamkeitsforschung über das Psychodrama zu suchen. Das sind mehr als 6000 Einträge! Bereits 2007 und 2011 hatte ich Tabellen zusammengestellt über solche Wirksamkeitsnachweise. Später war auch Jörg Bergmann dazugekommen. Dieses Material wurde jetzt wieder verwendet. Dabei waren wir arbeitsteilig mit Karsten Krauskopf. Und für das Hearing mit dem WBP haben wir Studien gefunden, die Jürgen Kriz vor dem WBP verwenden kann. Die Arbeit ist damit natürlich noch nicht abgeschlossen.

Anerkennung des Psychodramas in Österreich seit 1993
In Österreich hat das Psychodrama die wissenschaftliche Anerkennung 1992, ´93 erreicht. Wir hatten dieses Einreichpapier für das Gesundheitsministerium zur Wirksamkeit von Psychodrama mit Klaus Ottomeyer zusammen geschrieben und wir haben es durchgebracht. Seither bin ich mit der Thematik verbunden. Es gab nach fünfzehn Jahren ein „Update“, das immer wieder erneuert werden muss, deshalb verfolge ich das Thema auch. Bei meiner vierjährigen Vorstandstätigkeit bei der FEPTO habe ich den Vorsitz des Research- des Forschungs-Komitees gemacht. In der Zeit hatten wir beim Europäischen Verband (European Association of Psychotherapy, EAP) die Anerkennung für das Psychodrama in Europa gelandet. Das war 2005 in Ljubljiana (Laiback) und wir haben das gemeinsame Papier mit Teszary und Fontaine vorgestellt. Man musste hier nach fünf Jahren etwas nachsetzen, das ist auch positiv über die Bühne gegangen. Diese Anerkennung zählt zwar weniger als eine nationalstaatliche Anerkennung wie z.B. vom österreichischen Gesundheitsministerium. Aber es ist ein Schritt mehr, von der EU anerkannt zu werden. Die Deutsche Situation ist natürlich sehr schwierig! 2000 hat das Psychodrama alleine einen Antrag auf wissenschaftliche Anerkennung beim WBP eingereicht und es wurde abgelehnt. Ich hatte auch mit ein, zwei Gutachtern gesprochen, die das negative Gutachten geschrieben hatten und sich geoutet haben. Ich hatte damals dazu geschrieben, dass Wissenschaft in Österreich und Deutschland und in anderen Ländern doch sehr unterschiedlich gefasst wird. Und das ist insgesamt die Krux nach wie vor. Meiner Einschätzung nach wird sich der Beirat jetzt schwer tun, wieder abzulehnen. Aber wie es in Deutschland auch ist: die Krankenkassen werden es trotzdem ignorieren. Immerhin wird eine wissenschaftliche Anerkennung da sein, die mit dem Gesundheitsministerium in Deutschland verbunden ist. Und da die Kassen ihre eigenen Regeln haben, wird ein nochmaliger Antrag notwendig sein vor dem G-BA.

Generell sind die randomisiert kontrollierten Studien gefragt. Alles andere ist schönes Beiwerk, das vielleicht erwähnt, aber in den wissenschaftlichen Gutachten nicht berücksichtigt wird. Und das ist das Tragische an der ganzen Sache: Das Psychodrama lebt durch die „Begegnung“, und damit wird es ausgeschlossen. Das Modell der Psychopharmaka-Forschung wird hochgehalten, und das ist so zuwider läufig dem Psychodrama, das ist furchtbar. Die PatientInnen wissen in den randomisierten Studien nicht: ist es ein Therapeut oder ist es ein netter Mensch, der eine Gesprächsgruppe macht? So ist dieses Forschungsmodell. Aber so ist die Situation in Deutschland, du wirst auch in Großbritannien und den USA die randomisiert kontrollierten Studien als Goldstandard für die Psychotherapieforschung finden. Das hat sich leider politisch durchsetzen können. Insofern freuen mich Studien, die doch noch qualitativ sind und wo mehr Herz vom Psychodrama zu finden ist, wie z.B. wenn noch Fallstudien erwähnt werden. Über Psychodrama existieren nur wenige randomisiert kontrollierte Studien. Wir haben ganz andere Vorstellungen, was gut ist. Jetzt bei diesem Antrag zusammen mit der Gesprächspsychotherapie und allen anderen humanistischen Methoden, ist schon was dabei an brauchbaren Studien, ich denke das wird gut gehen.

Du kennst ja die deutsche Szene, was wären günstige Schritte für eine Zukunftsperspektive, für eine Entwicklung des Psychodramas in Deutschland? Hättest Du von außen Empfehlungen? Psychodramainstitute wurden in Deutschland in den 70er Jahren gegründet. Da war der große Boom der Gruppenbewegung, auch die Encounter-Bewegung ist aus den USA herüber geschwappt. Und jetzt, in den 2010er Jahren, müssten wir wieder mehr zeigen, dass Psychodrama nicht nur persönliche Probleme aufgreifen kann, sondern auch gesellschaftlich wieder etwas bewegen kann, dass es „attraktiv“ ist. So wie es in den 70er Jahren schön war, anziehend, in eine Gruppe zu gehen und diese Erfahrungen zu machen.

Psychodrama als Soziatrie
Wir waren jetzt bei der internationalen AGP-Tagung in Kroatien. Da ist der Krieg noch nicht so lange her und es ist immer noch so viel Trauma-Aufarbeitung notwendig, neben den neuen Flüchtlingsströmen. Ich denke, das sind Themen, wo man mit Psychodrama viel Gutes bewirken kann, wo man nicht nur im engsten psychotherapeutischen Sinn gefragt wird, sondern auch im breiteren Sinne, wie es Moreno auch verstanden hat, als Soziatrie: Heilung von Gesellschaft, Soziodrama. In diesen Bereichen kann Psychodrama etwas bewegen. Natürlich verlangen diese wissenschaftlichen Beiräte immer nur die Sicht aus der Psychotherapie. Und in der Einzelarbeit arbeite ich auch therapeutisch mit Flüchtlingen. Aber es ist viel mehr möglich und notwendig, wo man als Psychodramatiker arbeiten kann. Auf Kos z.B. gibt es im Oktober diesen Jahres eine Soziodrama-Konferenz. Die Organisationsform ist sehr unabhängig. Es wird gewollt ohne Vereinsstruktur gearbeitet. Ich finde es ganz gut: auf einer idyllischen Insel, wo jetzt aber sehr viele Flüchtlinge untergebracht werden, wird das Konferenzprogramm umgestellt, um mit dieser Problematik zu arbeiten. Es wird alles in Beziehung gesehen: diese Flüchtlinge aus arabischen und afrikanischen Ländern, die griechische Bevölkerung unter diesen ökonomischen Bedingungen und Europa. Da geht es nicht nur um traumatische Erfahrungen, sondern auch um die große Gesellschaft. Wie kann dies als europäische Sache gelöst werden, das kann nicht eine griechische Insel alleine lösen. Ich habe die Vorstellung, dass Psychodrama helfen kann, dass Soziodrama seinen Beitrag zu Lösungen leisten, sich öffentlich präsentieren und damit auch einen größeren Stellenwert bekommen kann.

Wieser, M. (2007). Studies on treatment effects of psychodrama psychotherapy Baim, Clark [Ed]; Burmeister, Jorge [Ed]; Maciel, Manuela [Ed] (2007) Psychodrama: Advances in theory and practice (pp. 271-292). xvii, New York, NY: Routledge/Taylor & Francis Group; US.

Wieser, M. (2011). Studies on Treatment Effects of Psychodrama Psychotherapy. In C. M. D. Sales, G. Moita, & J. Frommer (Eds.), Methodological Diversity in Psychotherapy and Counselling Research: Qualitative-Quantitative Approach. 1st International Summer School for Psychotherapy and Counseling Research – Proceedings (pp. 37-40, 111-124). Lisbon: Universidade Autónoma de Lisboa. Retrieved from https://www.researchgate.net/publication/215867545_Studies_on_Treatment_Effects_of_Psychodrama_Psychotherapy.

Interview: Anatoli Pimenidou