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Projekt Gaza – Agnes Dudler und Frank Sielecki leiten Psychodrama Training in Ramallah

Im Oktober 2019 waren Agnes Dudler und Frank Sielecki 5 Tage zu einem Psychodramatraining in Ramallah im Rahmen eines IAGP-Projektes.

Hier kommt der Erfahrungsbericht von Agnes Dudler:

„Die IAGP (International Association for Group Psychotherapie, von Moreno gegründet, in der der DFP korporatives Mitglied ist) engagiert sich seit 2012 darin, Gruppenpsychotherapie weltweit weiter zu verbreiten. In Chennai (Indien), Kairo und Ramallah (Palästina/ Westbank) wurden Trainingsgruppen begonnen. In Kairo gab es schon vorher Einiges und seit vier Jahren einen jährlich größeren Kongress im Januar. Zu den Aktiven gehört(e) auch Jörg Burmeister.

Neben PsychodramatikerInnen waren auch v.a. Gruppenanalytikerinnen dort.

In Ramallah hat Maurizio Gasseau aus Turin (er war 2014 mit dem Social Dreaming bei unserer DFP-Tagung) eine Art Patenschaft übernommen und gibt regelmäßig Supervision per Zoom. Auf sein mehrfaches Drängen stimmte ich zu, im Oktober 2019 dort ein Psychodramatraining durchzuführen. Frank Sielecki hat mich begleitet. Nachdem ich 9 x in Gaza Psychodrama vermittelt habe, reizte es mich, auch die Westbank kennenzulernen.

Es war ganz anders als in Gaza.Wir konnten völlig frei aus Israel einreisen über einen Diplomatencheckpoint; uns wurde aber gleich gesagt, dass es bei der Ausreise komplizierter würde, war es dann auch. Wir waren nicht in einer Gästewohnung mit Selbstversorgung, sondern in einem Hotel untergebracht gleich am Rand der Innenstadt. Ramallah ist viel kleiner als wir dachten; es hat heute etwa 54.000 Einwohner; davon sich fast 60 % Christen. Entsprechend sind viel mehr westlich gekleidete und unverschleierte Frauen zu sehen.

Die Gruppe tagte im Zentrum für die Behandlung von Folteropfern mitten im Getümmel einer Einkaufspassage, die uns nach getaner Arbeit auch lärmreich empfing. – Wie entspannend war es dagegen in Gaza, nachmittags ans Meer gehen zu können. – Die GruppenteilnehmerInnen dort arbeiten z.T. in diesem Zentrum z.T. in Beratungsstellen, Schulen und in Gefängnissen, darunter zwei ehemalige Polizisten die jetzt ein Gefängnis leiten. Nicht alle wohnen in Ramallah, sondern kommen aus der Umgebung oder aus Ostjerusalem.

Erst dort erfuhren wir, dass es sich um den letzten Trainingsblock „unserer“ Gruppe handelte. Am ersten Tag waren einige aus der 2016 bereits abgeschlossenen ersten Gruppe zur Supervision da. Es war ein herzliches Wiedersehen mit Dreien von Ihnen und dem Zentrumsleiter, Khader Rasras, die ich bereits in Iseo kennlernen konnte. Dass ich in Gaza war, trug mir viel Wertschätzung ein.

Maurizio hatte für den Sonntagnachmittag eine Zoom-Konferenz mit den Ramallah-KollegInnen anberaumt während wir da waren, und ich hatte dazu zwei Kolleginnen aus Gaza eingeladen, um die beiden Gruppen miteinander in Kontakt zu bringen. Auch wenn sie so nah beieinander wohnen und arbeiten, sie können sich nicht gegenseitig besuchen; die Grenze nach Gaza ist weitest gehend dicht.

Was haben wir mit den KollegInnen gemacht?

Nach Abfrage ihrer Bedürfnisse ergab es sich, dass sie die Grundlagen des Psychodrama wie Doppeln, Spiegeln und Rollentausch noch nicht wirklich begriffen hatten. Und anders als bei uns üblich, hatten sie noch nicht selbst geleitet. So haben wir sie viel in Untergruppen vorstrukturierte kleine Übungen zu den basicsmachen lassen und diese ausführlich ausgewertet und besprochen. Besonders begeistert waren sie von der Möglichkeit Ambivalenzen zu zweit zu doppeln.

Wie in Gaza war auch hier die Gruppe sehr dankbar für Auflockerung durch achtsamkeitszentrierte Körperübungen und kleine Bewegungsspiele wie das Monsterspiel. Einmal sollten sie in zwei Untergruppen je dreiSprichwörter auswählen, den anderen dann vorspielen, die diese erraten mussten. Es war eine Freude zu sehen, wie ihre Gesichter entspannten, die Augen freudig blitzten, und die Mitglieder anscheinend auf ganz andere Weise miteinander in Kontakt kamen.

So brachten sie mehr und mehr auch persönliche Themen ein, die teils von uns, teils von einem Gruppenmitglied geleitet wurden. Die Themen zeigen den gesellschaftlichen Umbruch mit Konflikten zwischen traditionell strenger Familienbindung und Wunsch nach individueller Gestaltung des eigenen Lebens. Was mich in Gaza schon sehr angerührt hat, war auch hier der auffällig große Ehrgeiz für die eigenen Kinder, dass sie unbedingt beste Noten erbringen müssen, sonst grämen sich die Eltern, v.a. die Mütter. Meine Frage, ob die Kinder vielleicht so gut sein müssen, um die ständige Demütigung durch die israelische Besatzung aufzuwiegen, wurde mit betroffenem „Yes, maybe“ beantwortet.

Ertrag des Seminars in drei Abschlussbildern

Zum Abschluss erstellen drei Untergruppen ein Bild zu der Frage: Was hat uns das Seminar gebracht:

  • Das ambivalente Doppeln in Variationen
  • Eine Brücke von der Theorie zur eigenen Praxis
  • Rückenstärkung und Ermutigung, selbst psychodramatisch zu arbeiten.

Wie die Bilder zeigten, konnten wir den KollegInnen ein Grundverständnis der psychodramatischen Grundtechniken vermitteln und ihnen Freude an der Anwendung vermitteln.

Besonders angetan waren v.a. die FamilienberaterInnen von der Möglichkeit, Symbole zu nutzen, um Personen und Konflikte darzustellen. Ungünstigerweise waren wir während der Olivenernte dort, so dass nicht immer alle Gruppenmitglieder Eilnehmen konnten. Sie sind normalerweise 16.

Es erscheint ihnen einfacher als mit dem Psychodrama Unvertraute in Rollen einzuführen.

Dankbar waren sie auch für eine eher spielerische Variante des Ambivalenzen Doppeln oder mit zwei gegensätzliche Anforderungen an einen Protagonisten zu arbeiten. Hier war es der Fall eines der Teilnehmer, dessen Familie fordert, dass er endlich eine von der Familie ausgewählte Frau heiratet und Kinder bekommt; er möchte sich aber seine Frau selbst auswählen und hat noch keine zu ohm passende gefunden. Je eine Hälfte der Gruppe bekam die Aufgabe, die Forderungen der Familie zu vertreten, die andere seine eigenen Wünsche. Die beiden Seiten standen sich gegenüber und vertraten z.Z. echt heftig ihre Argumente, während er vom Rand aus mit uns sich das Ganze anhörte und auf sich wirken ließ. Er fühlte sich von der Gruppe sehr darin unterstützt, bei sich zu bleiben.

Persönliche Eindrücke

Anstrengend, anstrengend, anstrengend, vor allem für Frank, der das erste Mal in Palästina war und außerdem seine Mühe mit dem arabischen Englisch hatte. Ich war froh, dass er dabei war, denn ich kann mir nicht vorstellen, wie die meisten IAGP-KollegInnen solche Trainings allein durchzuführen. Man fängt einfach soviel Traumatisierendes subkutan mit auf, dass es mehr als sinnvoll ist, sich immer wieder mit jemand Vertrautem austauschen zu können.

Auf den ersten Blick wirkt Ramallah recht westlich und die Häuser in besserem Zustand als viele in Tel Aviv; das liegt auch daran, dass viel erst im letzten Jahrzehnt gebaut wurde. Wenn man aber die politisch aussichtslose Situation bedenkt, wirken westliche Malls – wer braucht die wirklich – umso absurder. Auch wenn man all die Geschichten kennt wie die über die Autobahn, die über das Land der eigenen Familie führt, aber nur von Israelis befahren werden darf, die gleichzeitig  die Dörfer von den Feldern abscheidet, so dass man zur Olivenernte statt 10 Minuten 90 unterwegs ist und dabei u.U. noch einen Checkpoint passieren muss, der nicht immer passierbar ist. Oder die von Brunnen, die nicht mehr benutzt werden dürfen, weil die nahegelegene israelische Siedlung das Wasser für sich beansprucht.

Unser Bild vom Leben in Ramallah wurde umfassender durch ein gemeinsames Abendessen mit der Leiterin der Vertretung der Böll-Siftung in Ramallah. Sie ist die Schwester einer Psychodramakollegin und lebt seit 6 Jahren dort.

Am letzten Nachmittag waren wir im Arafat-Museum. Erschütternd die ganze Geschichte – natürlich aus palästinensischer Sicht – noch einmal entlang zu gehen und die hoffnungsvollen Gesichter Ende der 80er Jahre zu sehen. Da wurde die Sitzung der UN, die Yassir Arafat eingeladen hatte, von New York nach Genf verlegt, weil die USA ihn nicht einreisen lassen wollte. Besuche des französischen und anderer Ministerpräsidenten in Ramallah, das Osloabkommen, der Handschlag mit Bill Clinton in Washington und der zwischen Arafat und Rabin – alles weckte Hoffnungen, und dann sehen, wie es weiterging und -geht bis heute. Über alle Friedensverhandlungen hinweg wurden unbeirrt weiter Siedlungen ins besetzte Palästina gebaut, von dem heute fast nur noch unverbundene  Regionen wie Löcher im Schweizer Käse übrig sind. In Ramallah rückt eine große Siedlung bis nahe an den Stadtkern heran, für uns unfassbar. Und all die missglückten Bombenattentate auf Arafat noch einmal zu sehen: sein Haus, sein Auto, sein Flugzeug. Man ist dort überzeugt, dass er schließlich vergiftet wurde.

Natürlich haben wir auch an seinem Grab gestanden“